| Pressemeldung | Nr. 174
Triage-Gesetz des Deutschen Bundestages
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, erklärt anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes zur Triage im Deutschen Bundestag:
„Der Deutsche Bundestag hat gestern (10. November 2022) ein Gesetz zur Regelung der Triage im Fall von nicht für alle Patienten ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten – etwa in einer Pandemie-Situation – verabschiedet. Das Bundesverfassungsgericht hatte einen stärkeren Schutz insbesondere von Menschen mit Beeinträchtigungen vor Diskriminierung angemahnt. Das verabschiedete Gesetz trägt diesen Vorgaben nun Rechnung.
Wir begrüßen, dass der Gesetzgeber betont, wie sehr es darauf ankommt, eine Triage-Situation von vorneherein soweit als irgend möglich zu vermeiden. Neben einer vorausschauenden Ausstattung der Gesundheitssysteme kommt es dabei auch auf eine möglichst optimal koordinierte Kooperation der Krankenhäuser untereinander an. Weder Patientinnen und Patienten noch Ärztinnen und Ärzte sollen in eine Situation der Triage gebracht werden.
Wenn es aber unvermeidlich zu einer solchen Situation kommt, hat der Gesetzgeber völlig zu Recht besonderen Wert darauf gelegt, bei der notwendigen Auswahlentscheidung jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung, Gebrechlichkeit, Alter, ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung strikt zu vermeiden. Das Gesetz sieht deshalb zum einen das inhaltliche Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit vor, zum anderen ein strukturelles ‚Vieraugenprinzip‘ bei der ärztlichen Entscheidung und die Hinzuziehung einer Person mit Fachexpertise bei Betroffenen mit Behinderung. In der Diskussion um dieses Gesetz hat es große Skepsis gegeben, ob die Regelung einerseits praktikabel ist und andererseits den Schutz vor Diskriminierung tatsächlich sicherstellt. Letztlich lässt sich das nicht mit völliger Sicherheit im Voraus beurteilen. Umso wichtiger ist die im Gesetz vorgesehene Evaluation des Verfahrens.
Dass das Gesetz die sogenannte ,Ex-post-Triage‘ weiterhin verbietet, halten wir für eine richtige und wichtige Weichenstellung. Bei einem solchen Verfahren würden ansonsten auch Patienten, deren lebensnotwendige Behandlung bereits begonnen wurde, wieder in eine Zuteilungsentscheidung einbezogen, sofern ein neu hinzugekommener Patient eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hat. Eine bereits begonnene Behandlung des ersten Patienten würde wieder abgesetzt. Angehörige und Patienten müssten dann ständig befürchten, dass die bereits eingeleiteten lebensnotwendigen Behandlungsmaßnahmen nicht von Dauer sind. Dadurch würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt bzw. Ärztin und Patient bzw. Patientin zerstört. Eine Prüfung, inwieweit die Fortführung der Behandlung bei einem individuellen Patienten in Hinblick auf seine Genesung oder sein Überleben weiterhin sinnvoll ist, ist deshalb allein unter dieser individuellen Perspektive aufgrund ärztlicher Expertise durchzuführen und keinesfalls unter einer Konkurrenz-Perspektive im Hinblick auf andere Patienten und Patientinnen.
Gerade in prekären Mangelsituationen ist es wichtig, auch den Schutz der Schwachen und alten Menschen sicherzustellen. Hier den Blick einzig auf die Behandlung einer möglichst großen Zahl von weniger kranken oder jüngeren Menschen zu richten, würde sowohl unserem christlichen Menschenbild als auch dem unserem Grundgesetz zugrunde liegenden Verständnis von Menschenwürde diametral entgegenstehen.
Es bleibt zu hoffen, dass das gestern beschlossene Gesetz in einem eintretenden Notfall eine geeignete Regelung für diese äußerst schwierige Situation zur Verfügung stellt, vielmehr noch aber, dass eine solche Problemlage von vornherein vermieden werden kann.“